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18.06.2021
Kurz nachdem ich den letzten Impuls über den katholischen Klerus geschrieben hatte, musste ich in unserer Tageszeitung folgende Nachricht lesen:
Der Pfarrer der Kirchengemeinde St. Pankratius in Odenthal, in der ich aufgewachsen bin, hat eine minderjährige Messdienerin mehrfach vergewaltigt.
Ich kenne den Mann. Hochangesehen in der Pfarrei, Kreisdechant geworden, nach seinem mysteriösen tödlichen Absturz in den Alpen 2008 hielt man Nachtwachen und sammelte Unterschriften, um den Dorfplatz nach ihm zu benennen. Meistens recht künstlich strahlend guter Laune, war er mir in seiner seifigen Art immer unsympathisch. Konnte er doch in Entscheidungsfragen gnadenlos und undiskutabel seine Machtposition durchsetzen, um dann wieder laut lachend zur Tagesordnung überzugehen. Wie sollte sich das Mädchen trauen, irgendjemand vom schweren Verbrechen dieses „Gottesmannes“ zu erzählen? Noch heute, da es irgendwann herausmusste, wird ihre Mutter in der Gemeinde angefeindet, da sie solches über das Idol glaubt und darüber spricht.
Wie soll ich beschreiben, was diese Nachricht, diese Bilder im Kopf, in mir ausgelöst haben? „Ich bin schockiert“ wäre zu einfach, zu normal ausgedrückt.
Von vielen „solchen Fällen“ habe ich heutzutage gelesen und gehört.
Dieser aber hat einen Namen, ein Gesicht für mich.
Das haut mich nochmal ganz anders um und lässt etwas gänzlich zerbrechen in mir, das ich schon kaum mehr zu haben meinte:
Ein Grundvertrauen in die priesterlichen Seelsorger meiner Kirche, ein letzter Rest von Glauben an die im Großen und Ganzen doch relative Brauchbarkeit dieses klerikalen Leitungssystems.
Nein, dies alles geht nicht mehr. Wenn es für mich zu dieser Einsicht noch etwas brauchte, so ist es mir jetzt klar bis auf den Grund:
Die ganze Amtstheologie bringt Menschen mit einer institutionalisierten Überhebung hervor, die bei allen, welche sich nicht mit ihren Schattenseiten befassen wollen oder können, verheerende Folgen für sie selbst, aber besonders für ihr Umfeld hat.
Natürlich kenne ich manche Kleriker, zu denen ich volles Vertrauen habe. Doch gerade da ist es trotz, nicht wegen ihres Klerikerseins. Sie sind glaub-würdig, weil sie so menschlich und „normal“ sind. Und genau dies ist der Klerikerstand per definitionem ja gerade nicht. Wie gesagt: Die Erben Christi, im unverzichtbaren Weiheamt mit dem Ursprung der Kirche verbunden, das besondere Priesteramt ausdrücklich nicht als Teil, sondern gegenüber dem Gemeindevolk mit seinem irgendwie „allgemeinen“ Priestertum, das Mann ihnen seit dem 2. Vatikanischen Konzil zugesteht…
All diese theologischen Konstrukte und spirituellen Klimmzüge muten heutigem Denken und Empfinden zu Recht nur noch mittelalterlich und magiegläubig an. Hier nochmal das Wort Jesu nach Matthäus: „Ihr alle aber seid Geschwister.“ Was ist daran für Euch Kleriker so schwer zu verstehen? Es zerreißt ein für alle Mal den Vorhang zwischen einer Welt der Unheiligen und der Heiligen.
Ja natürlich, es mag spirituell Fortgeschrittenere oder Erfahrenere geben, deren Begleitung zum eigenen Wachsen ein Gewinn ist. Und es muss auch in einer Glaubensinstitution Menschen geben, bei denen die Fäden zusammenlaufen, die mehr Verantwortung tragen können und wollen als andere. Die können wir für ihre Aufgaben wählen und beauftragen, ja.
Aber warum „weihen“? So werden sie dem Kirchenvolk ent-weiht.
Warum eine heilige Ordnung, eine „Hierarchie“ (griechisch hieros = heilig)? Ist eine einfach menschliche demokratische Ordnung denn per se unheilig?
Dahinter steckt wohl ein tiefsitzendes Misstrauen gegen alles Menschliche, das aber gerade dem christlichen Menschen- und Gottesbild widerspricht.
Daher meine ich mit vielen anderen: Dieses ganze klerikale Kirchensystem muss aufgegeben werden. Entweder die Kirche trennt sich von ihm oder sie wird mit ihm in Bedeutungslosigkeit versinken.
In diesem Sinne habe ich schon 2011 nach einschlägigen Erfahrungen mit der Kölner Kirchenleitung folgenden Text geschrieben:
S O S
Ich bin der Geiger
auf der römischen Kirchentitanic.
Sie galt als unsinkbar
im Ozean der Sinnlosigkeit.
Doch die Macht der Wirklichkeit
zerriss das stolze Blech.
Noch laufen alle geschäftig hin und her.
Keiner will es wahrhaben,
aber dieses Schiff sinkt definitiv.
Die sich nicht im Innern verschanzt haben,
denen steht das Wasser schon bis zum Hals.
Noch spiele ich mit meinem Orchester ein Lied
für die, die Trost brauchen.
Aber es heißt, Abschied nehmen
von diesem Luxusliner.
Nur eins ist - Gott sei Dank! - anders als beim Original:
Der, der immer gern vermehrt hat, ist mit an Bord.
Deshalb reichen die Rettungsboote.
Wer den Absprung schafft,
wird die Zukunft erleben.
Diesmal die Frauen zuerst und die Kinder!
Aber auch die von der Brücke können mit,
wenn sie mal die anderen ans Ruder lassen
und sich verteilen auf kleinere, bescheidenere Boote
auf dem Weg zu neuen Ufern.
(aus: Johannes Lieder, Auf Schatzsuche, Echter Verlag, Würzburg 2011)
Solange es noch geht:
Suchen wir für uns Rettungsboote, in denen wir spirituell überleben können.
Und lassen wir die Boote nicht allein und sich selbst überlassen, sondern rudern gemeinsam, helfen einander, den Weg durch das Meer zu finden.
Und dann werden wir Land sehen und an neuen Ufern landen. Und wir werden dieses Land als Menschen mit Menschen von heute kreativ gestalten, inspiriert von der einen göttlichen Macht unseres Universums, die heißt: Liebe!
Bleiben wir herzoffen.
Mit ebensolchem Gruß von Johannes Lieder
Tübingen, den 18. Juni 2021
Johannes Lieder - 15:21 @ Impulsartikel | Kommentar hinzufügen
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